Wie unterschiedlich wir das Gleiche wahrnehmen. Neulich in der U-Bahn, ein alter, dünner Mann, der Musik machte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er sah erbärmlich, krank und arm aus. Voller Mitleid gaben ihnen einige etwas Geld. Auf der anderen Seite Menschen, dem Anschein nach Wohlstandsbürger, welche die Musik beurteilten: „Also die Neulich waren besser, haben einen besseren Service erbracht. Der soll mal lieber aufhören….!

Dieser Worte klangen hochmütig. Was kostet es einen Büromenschen, ein paar Groschen zu verschenken? Natürlich könnte die Situation eine ganz andere gewesen sein. Wir wissen nie, was wirklich geschieht. Es kann ja sein, dass der ältere Herr eine Wette verloren hatte, eigentlich wohlhabend ist und nicht wirklich auf das Geld angewiesen…

Es liegt in unserer Natur, alles zu bewerten. Dies mag einen Grund haben. Wenn unsere Vorfahren in der Ferne Löwengebrüll hörten, war es sinnvoll, von einem Angriff auszugehen und das Weite zu suchen. Dass der Löwe vielleicht brüllte, um ein Weibchen zu beeindrucken, wussten sie natürlich nicht.

Was wir nicht wissen, unterliegt der Spekulation. Was mein Kollege wohl über mich denkt? Wenn ich ihn nicht frage, werde ich es nicht erfahren. Und selbst wenn ich es tue, weiß ich nicht, ob er mir die Wahrheit sagt. Und da das, was wir zwischen unseren Ohren haben, immerzu aktiv ist, mache ich mir mein eigenes Bild. „Er hat mich heute nicht gegrüßt… bestimmt ist er wegen irgendetwas sauer auf mich…“ Natürlich gäbe es unzählige andere Möglichkeiten, doch die blenden wir aus.

Unsere Gedanken führen zu Handlungen, unsere Handlungen zu Gegenreaktionen. Und wer weiß, wie viele mögliche Freundschaften wir uns durch irgendeine Phantasie verdorben haben? Das wollen wir eigentlich nicht wissen, oder?